Späterer GGL-Präsident wird erster Luzerner Bundesrat
Bei den eidgenössischen Wahlen von 1854 glückte Knüsel der Sprung in den Nationalrat. Der Solothurner Bundesrat Josef Munzinger (1791–1855) erkrankte damals schwer. Am 6. Februar 1855 war er nach langem Leiden verstorben. Der weitherum angesehene Luzerner Kasimir Pfyffer (1794–1875) wurde als Nachfolger ins Gespräch gebracht. Im ersten Wahlgang erhielt er in der Bundesversammlung jedoch nur 66 Stimmen bei einem absoluten Mehr von 72. Darauf lehnte Pfyffer ab.
Aussichtsreichster Kandidat war hierauf der Basler Nationalrat Johann Jakob Stehlin (1803–1879), der am 12. Juli im ersten Wahlgang zum Bundesrat gewählt wurde, am darauffolgenden Tag die auf ihn gefallene Wahl mit der Begründung ablehnte, dass er die zu der hohen Beamtung nötige Summe des Wissens und der Erfahrung nicht in sich fühle.
Nun schlug die Stunde für den weitgehend unbekannten Luzerner Nationalrat Josef Martin Knüsel. Mit 94 von 142 Stimmen wurde er am 14. Juli 1855 im zweiten Wahlgang zum Mitglied der hohen Landesbehörde gewählt, obschon er sich bisher weder als Redner noch als Kommissionsmitglied bemerkbar gemacht hatte. Zur Annahme der Wahl entschloss er sich erst einige Tage später. Mit Knüsel gelangte der erste Luzerner und Zentralschweizer in den Bundesrat, dem er bis 1875 angehörte.
Die überraschende Wahl von Nationalrat Josef Martin Knüsel, der zur Zeit der Wahl auch als Luzerner Regierungsrat und Schultheiss amtete, wurde von der Luzerner Bevölkerung mit Freude aufgenommen. Nach dem Bürgerkrieg von 1847 blieb der katholisch-konservativen Opposition, die sich vor allem in der Innerschweiz gesammelt hatte, ein Bundesratssitz verwehrt. Als ehemaliger Vorort war jedoch Luzern nicht völlig auszuschalten. Die freisinnigen Luzerner erhoben dann auch bald nach 1848 Anspruch auf einen Sitz in der Landesregierung. Als man einen Nachfolger für den verstorbenen Josef Munzinger suchte, sahen die Luzerner ihre Chance gekommen. Schützenhilfe erhielten sie von der ‹Neuen Zürcher Zeitung›, die als Nachfolger Munzingers einen Staatsmann aus dem ehemaligen Vororte Luzern oder aus den Urkantonen vorschlug: «Seit der Reorganisation von 1847 und 1848 hat der Kanton Luzern in seiner grossen Mehrheit stets unentwegt zum neuen Bunde und dessen Einrichtungen gehalten und dadurch die Scharte so ziemlich ausgewetzt, die es sich durch den Sonderbund in der Achtung seiner Miteidgenossen zugezogen hat.»
Mit dem Liberalen Josef Martin Knüsel wurde 1855 der erste Innerschweizer in die Landesregierung gewählt. Der zweite war Josef Zemp (1834–1908), der als erster konservativer Vertreter überhaupt Mitglied des Bundesrates wurde. Während seiner 20-jährigen Amtstätigkeit, die durch häufige Departementswechsel geprägt war, stand Josef Martin Knüsel insgesamt fünf Departementen vor, nämlich dem Finanzdepartement, dem Handels- und Zolldepartement, dem Justiz- und Polizeidepartement, dem Departement des Innern und dem Politischen Departement. Einzig das Postdepartement, das lebenslänglich an Bundesrat Naeff (1802–1881) verpachtet schien, und das Militärdepartement, das Knüsel nach damaligem Brauche als Nichtmilitär nicht übernehmen konnte, blieben ihm fern. Zweimal amtete er aber als Bundespräsident.[1]