Bruderkrieg
In den Turbulenzen des Jahres 1847 ist die Luzernerischen Abteilung der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft zur Untätigkeit verurteilt[1]. Alles drehte sich um die Bewältigung des Sonderbundskriegs:
Mit der Juli-Revolution in Frankreich 1830, einem Aufstand der liberalen Bürger gegen den Absolutismus, erhielt der seit dem Ende Napoléons 1814 von den restaurierten konservativen Kräften des Ancien Régime in ganz Europa unterdrückte Liberalismus und Freiheitsgedanke einen neuen Impuls. In der Tradition der Französischen Revolution von 1789 und der napoleonischen Errungenschaften sollten persönliche Freiheitsrechte, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, Glaubens- und Religionsfreiheit, das Recht auf Eigentum, Handels- und Gewerbefreiheit sowie Niederlassungsfreiheit garantiert werden. In der Schweiz gaben sich 1830/31 elf Kantone, darunter auch der Kanton Luzern, eine liberal-repräsentative Verfassung basierend auf den Prinzipien der Volkssouveränität und Rechtsgleichheit (die sogenannte Regeneration). Auf eidgenössischer Ebene wollten diese Kantone weg vom losen Staatenbund hin zu einem Bundesstaat mit einer handlungsfähigen Zentralmacht. So rückte in den folgenden Verfassungskämpfen die Revision des Bundesvertrags von 1815 in den Vordergrund. Nach dem Befund des französischen Gelehrten und Publizisten Alexis de Tocqueville, dessen Werke auch zur Lektüre von Josef Martin Knüsel (des späteren Bundesrates und Präsidenten der GGL) gehörten, hatte dieser Bundesvertrag dazu geführt, dass die allmächtigen Kantone einander paralysierten und die Tagsatzung und somit die Eidgenossenschaft dadurch oft handlungsunfähig waren.[2]
Der Konflikt zwischen Liberal-Radikalen und Konservativen führte zu zwei ersten Sonderbündnissen. Die konfessionellen Gegensätze spielten vorerst noch keine Rolle. Im März 1832 gründeten sieben liberal-radikale Kantone (Luzern, Zürich, Bern, Solothurn, St. Gallen, Aargau und Thurgau) das überkonfessionelle liberale Siebnerkonkordat, worauf sechs konservative Kantone (Uri, Schwyz ohne Ausserschwyz, Obwalden, Nidwalden, Neuenburg und Basel-Stadt) im November den ebenfalls überkonfessionellen konservativen Sarnerbund schufen, den die liberal-radikale Mehrheit der Tagsatzung jedoch bereits im August 1833 auflöste, da er ihrer Meinung nach gegen die Bestimmungen des Bundesvertrags verstiess. Dieser Konflikt spaltete nicht nur die Eidgenossenschaft, er spaltete auch die Gesellschaft innerhalb der Kantone in oft unversöhnliche Lager. So gab es etwa im Kanton Luzern in jeder noch so kleinen Gemeinde meist zwei Wirtschaften, eine ‹rote› (konservative) und eine ‹schwarze› (liberale), eine ‹rote› und eine ‹schwarze› Dorfmusik, einen ‹roten› und einen ‹schwarzen› Schützenverein und ‹rotschwarze› Liebschaften waren geeignet, in einer Tragödie zu enden.[3]
Im Schutzbündnis von 1845 der katholisch-konservativen Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Freiburg und Wallis, das nach dem 2. Freischarenzug geschlossen worden war, sahen die Liberalen und Radikalen nichts anderes als einen weiteren Sonderbund. Die politischen und nunmehr auch konfessionellen Gegensätze zwischen den katholisch-konservativen und den liberal-radikalen Kantonen verschärften sich. Zwei unversöhnliche Weltanschauungen standen sich gegenüber. Die Krise eskalierte und mündete 1847 in einen Bürgerkrieg, den Sonderbundskrieg: Am 4. November 1847 beschloss die Tagsatzungsmehrheit die gewaltsame Auflösung des Sonderbunds. Bereits zuvor waren auf beiden Seiten Truppen mobilisiert worden. Die fast 100‘000 Mann der eidgenössischen Tagsatzungstruppen wurden von Guillaume-Henri Dufour, die rund 80‘000 Mann starken Truppen des Sonderbunds von Johann Ulrich von Salis-Soglio kommandiert.[4]
Der Konflikt zwischen Liberalen und Konservativen fand im Ausland von Anfang an grosse Beachtung. Die Grossmächte Preussen, Österreich und Frankreich wollten einen Sieg der Liberal-Radikalen in der Schweiz verhindern. Sie befürchteten einen Dominoeffekt, der auf ihre eigenen Länder übergreifen würde. Sie waren bereit, den Sonderbund zu unterstützen, was aber nie so richtig zum Tragen kam.[5]
Während der Sonderbund militärisch unentschlossen, unkoordiniert und erfolglos agierte, konnte Dufour durch ein konzentriertes Vorgehen seine Truppen zum Sieg führen. Dufours erste Offensive richtete sich gegen den Kanton Freiburg, der von seinen Bündnispartnern geographisch isoliert war. Kampflos kapitulierte Freiburg am 14. November 1847. Danach marschierte Dufours Armee Richtung Zentralschweiz. Zug ergab sich widerstandslos. Danach, am 23. November 1847, besiegten seine Truppen bei Gefechten vor Luzern in Gisikon und Meierskappel die Truppen des Sonderbunds. Zwischen dem 25. und 29. November 1847 folgte die kampflose Unterwerfung der Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden sowie des Wallis. Damit war das Ende des Sonderbunds besiegelt. Die Tagsatzungsmehrheit entsandte in die besiegten Kantone eidgenössische Kommissare, die für neue Regierungen und die Ausweisung der Jesuiten sorgten. Bis auf Schwyz setzten die Liberal-Radikalen per Diktat in jedem ehemaligen Sonderbundskanton eine ihnen genehme Übergangsregierung ein.[6] Im Kanton Luzern wurde unter dem Schutz der eidgenössischen Truppen ein neuer Grosser Rat gewählt, dem fast nur Liberale angehörten. Die Liberalen blieben im Kanton bis 1871 an der Macht.[7]