Der seit 2014 lodernde Bürgerkrieg um den sich von der Ukraine loslosenden Donbas hat sich mit der militärischen Intervention Russlands auf der Seite des Donbas zu einem blutigen Krieg zwischen der Ukraine und Russland ausgeweitet und die Welt erneut in zwei Lager gespaltet. Mehrere Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen, vor allem Frauen und Kinder. Über
«Integration ist unabdingbar, egal, ob die Geflüchteten nach zwei bis drei Jahren wieder zurückgehen.» Heidy Steffen, Leiterin Soziales GGL
Neben den Behörden reagierte die Zivilgesellschaft und bot den Geflüchteten Unterstützung an. In Kriens entstand zum Beispiel der Verein ‹LUkraina›, unterstützt von ortsansässigen, wohltätigen Organisationen, darunter auch der Verein ‹HOPE›. Die Gemeinnützige Gesellschaft der Stadt Luzern (GGL) unterstützte ‹LUkraina› mit einem Beitrag zum Aufbau von Deutschkursen und will weiterhin bei der Entwicklung des Angebots finanziell helfen. Rund ein Jahr nach dem Ausbruch des Kriegs trafen sich auf der Geschäftsstelle der GGL Béatrice Pistor, Präsidentin von ‹HOPE› und Beirätin von ‹LUkraina›, Urs W. Studer, Präsident der GGL und Heidy Steffen, Leiterin Soziales der GGL zum Gespräch. Eines der Themen: wie weit sollen Geflüchtete aus der Ukraine in unsere Gesellschaft integriert werden.
Auszug aus dem Interview von Niklaus Zeier im Geschäftsbericht 2022 der GGL mit Urs W. Studer, Heidy Steffen und Béatrice Pistor:
Heidy Steffen: Ich kann die Bilder in den Medien über diese massiven Zerstörungen nicht mehr anschauen. Wenn der Krieg dereinst aufhört, wird es sehr lange dauern, bis ein geregeltes Leben wieder stattfinden kann. Darum bin ich der Meinung, dass wir schauen müssen, die Geflüchteten hier bei uns zu integrieren, auch in Anbetracht des hohen Fachkräftemangels. Sie sollten möglichst unkompliziert in unseren Arbeitsmarkt aufgenommen werden können.
Béatrice Pistor: Wir haben einen Kurs im Gastrobereich gemacht. Hier herrscht bei uns ein massiver Mangel an Arbeitskräften. Ob im Bereich IT oder eben in der Gastronomie, es braucht aber Deutsch dazu. Geflüchtete aus Afghanistan oder Syrien haben sich besser auf diese Situation eingestellt, zeigen meine Erfahrungen. Ukrainerinnen, die eigentlich möglichst bald wieder zurückgehen möchten, sind schwieriger in die Arbeitswelt zu integrieren. Nicht nur wegen der Sprache, sondern weil sie auch noch immer die Möglichkeit sehen, in ihr Land zurückkehren zu können. Sie haben ein anderes Selbstbewusstsein und kommen oft aus Bereichen des Managements. Zudem sind sie im Vergleich mit uns Schweizerinnen und Schweizern viel digitaler unterwegs.
Wie stark sollten die Geflüchteten jetzt hier integriert werden und wie reagiert die einheimische Zivilgesellschaft darauf?
Béatrice Pistor: Ich weiss nicht, wie viel unsere Gesellschaft hier mitträgt. Wir wären gut beraten, diese Menschen zu integrieren, auch aus demographischen Gründen. Wir müssen nach vorn schauen und ich meine, dass das Staatsekretariat für Migration das inzwischen macht. Zum Beispiel dürfen Jugendliche, die hier eine Lehre beginnen, diese beenden. Es bleibt aber eine Gratwanderung: Wie lange ist die Bevölkerung bereit, diese Lage mitzutragen. ‹LUkraina› geht einen stark integrativen Weg in unsere Gesellschaft, mit der Grundhaltung, dass Geflüchtete aus der Ukraine hier eine Bringschuld haben, sich in die Gesellschaft einzugeben. Ich bin für eine Integration, auch aus Sicht der anderen Projekte, die ‹HOPE› unterstützt wie auch aus Sicht meines Berufs der Sozialdienstleiterin der Stadt Kriens. Wir sind interessiert, dass sie in den ersten zehn Jahren, welche der Kanton finanziell trägt, Teil unserer Gesellschaft werden. Nachher müssen die Gemeinden die Kosten übernehmen, die im Sozialbereich, zum Beispiel in der Alterspolitik, bereits stark belastet sind.
Heidy Steffen: Integration ist unabdingbar, egal, ob die Geflüchteten nach zwei bis drei Jahren wieder zurückgehen. Wenn sie so oder so hierbleiben und wir nicht bereit sind, sie zu integrieren, werden wir ein grosses Problem bekommen. Es könnte so eine Parallelgesellschaft entstehen. Es ist viel besser, wenn sie hier etwas lernen können und wir von ihnen lernen, auch wenn sie nach fünf Jahren zurückgehen, wenn sich die Lage in ihrem Land wieder normalisiert hat.
Urs W Studer: Aus Sicht eines Städters wage ich zu behaupten, dass die Schweiz eine sehr hohe Integrationskraft hat. Ich weiss aus meinem Alltag ein Beispiel aus einer Apotheke in einem Luzerner Quartier, in der eine Ukrainerin bestens integriert arbeitet und in verschiedensten Sprachen Auskunft geben kann. Solche Fälle bringen mich zur Prognose, dass in rund fünf Jahren Ukrainerinnen nicht mehr zurückgehen wollen, weil sie sich hier beruflich und privat integrieren konnten.
Béatrice Pistor: Wir von ‹HOPE› verfolgen in der Zusammenarbeit mit ‹LUkraina›, wie auch schon mit dem Projekt ‹Lebenssprachschule› für geflohene Menschen aus Syrien, einen stark arbeitsintegrativen Gedanken, weg von der Opferrolle zur Selbstwirksamkeit. Wenn wir den Geflüchteten unser System so nahebringen können, dass sie merken, dass Teil davon zu sein, auch eine Bringschuld beinhaltet, handeln wir erfolgreich. Es geht nicht darum diesen Menschen etwas zu servieren, sondern in sie zu investieren, damit sie gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft werden können. Und dies bringt auch Pflichten mit sich. Dieser Prozess der Integration dauert fünf bis sieben Jahre. Das sind unsere Erfahrungen aus anderen, ähnlichen Projekten. Und meine Erfahrung zeigt auch, dass wir diese Menschen ganz früh ansprechen müssen: wenn sie kommen, sind sie noch aktiv, noch selbstwirksam. Wenn sie nur oder zu lange von der Verwaltung betreut werden, wirken sie wie entmündigt.
Welches sind für Sie die grössten Herausforderungen für eine erfolgreiche Integration, was fordert uns als Gesellschaft künftig heraus?
Urs W. Studer: Integration ist immer gegenseitig. Wenn die Schweizerinnen und Schweizer nicht wollen, dann geht es gar nicht. Das Verständnis dafür aufzubauen, scheint mir eine Herausforderung, damit dereinst die Zivilgesellschaft beim Zusammenleben mit den frisch integrierten Menschen kein Problem mehr sieht, so wie letztlich etwa bei den Leuten aus Italien oder Spanien oder aus Ex-Jugoslawien.
Heidy Steffen: Es braucht von unserer Gesellschaft eine grosse Toleranz. Besonders gegenüber der andersartigen Kultur der Menschen, die zu uns geflüchtet sind. Das gilt auch gegenüber ihrer Art, sich im Alltag zu zeigen. Wir dürfen doch nicht ein Volk daran beurteilen, wie ihre Frauen ihre Fingernägel lackieren.
Die hier unten vorgestellten Vereine ‹LUkraina› und ‹Prostir› sind 2 Beispiele für Unterstützungen im Sozialbereich. Weitere im Jahr 2022 unterstützte Sozial-Institutionen und -Projekte auf der Seite Unterstützungen 2022.
LUkraina
Der gemeinnützige Verein wurde von sechs geflüchteten Ukrainerinnen im Mai 2022 in Kriens gegründet. Ziel: Vorübergehende Integration ukrainischer Geflüchteter in die Schweizer Gesellschaft u.a. mit Deutschkursen.
Bei seiner Arbeit wird ‹LUkraina› von einem Beirat aus Personen ortsansässiger, wohltätiger Organisationen unterstützt. Darunter der Verein ‹HOPE› mit Béatrice Pistor oder ‹The Büez› mit Ron Prêtre. Dank ihnen konnten Büroflächen im Bell-Areal gemietet werden. Weitere Infos dazu auf den folgenden Websites: lukraina.ch, hope-lu.ch, www.thebuez.ch
Prostir
«In verschiedenen Gesprächen haben wir von Geflüchteten aus der Ukraine den Wunsch verspürt,» so Initiant Urban Fryes «sich an einem geschützten Ort austauschen zu können, etwas zur Ruhe zu kommen, Informationen in ukrainischer Sprache zu erhalten und den Kindern die Möglichkeit zum gemeinsamen Spiel zu geben.» In der Kunst-Box an der Staffelnhofstrasse 7 in Reussbühl fanden die Initiant:innen ideale Räumlichkeiten. Prostir bietet Angebote für Erwachsene an: u.a. Deutschkurse, Chorgesang, Kunsttherapie, psychologische Beratung, Sport. Prostir unterstützt zudem bei der Arbeitsintegration und bietet auf der Web-site www.prostir.ch wertvolle Informationen für Ukrainer:innen in der Schweiz an.
Die GGL unterstützt die Luzerner Kultur-Szene in ihrer ganzen Breite
Hier unten einige Beispiele für Unterstützungen im Kulturbereich. Weitere im Jahr 2022 unterstützte Kultur-Institutionen und -Projekte auf der Seite Unterstützungen 2022.
GGL-Geschäftsjahr 2022
Das Jahr 2022 war bekanntlich börsenmässig ein Verlustjahr, was auch an den Stiftungen unter dem Dach der GGL und auch der GGL selbst nicht spurlos vorbeigegangen ist.
Ausschuss und Geschäftsstelle behandelten 2022 insgesamt 449 Gesuche. 325 davon konnten positiv beantwortet werden, 79 Gesuche mussten abgelehnt werden. Mehr dazu unter Unterstützungen 2022.
Im 2022 sind leider elf Mitglieder verstorben, was wir sehr bedauern. Vor allem zu erwähnen ist unser Ehrenmitglied Hans Gisler, welcher für unsere Gesellschaft von 1990 bis 2013 als Finanzverwalter tätig war. Der Vorstand der GGL hat im Jahr 2022 vier Personen als Mitglieder der GGL aufgenommen. Per 31.12.2022 zählte die GGL 363 Mitglieder.
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